www.streitbar.eu Forum für unabhängiges Denken
../../index.html
../../downloads.html
../../kontakt.html
../../impressum.html
../../links.html

Dr. Harald Schulze

Gender Mainstreaming in der deutschen Hochschul- und Wissenschaftspolitik

Wer heute eintaucht in die Welt einer deutschen Hochschule, der wird unweigerlich auf allen Gebieten mit dem Thema Gender konfrontiert. Der dahinter stehende Anspruch ist so umfassend und der Entwicklungsprozess so weit fortgeschritten, dass Vertreter führender deutscher Hochschulen die Universität als „grundlegend ‚gegenderte‘ Organisation“ auffassen1. Dies beginnt mit einer Ausrichtung der Forschungsgebiete in den geisteswissenschaftlichen und pädagogischen Fächern hin zu „Gender-Themen“, aus deren Studium „Gender-Wissen als Schlüsselkompetenz“ erwachsen soll. Damit verbunden sind „gendergerechte Lehre“ sowie „gendergerechte Sprache, Didaktik und Stoffpräsentation“. Über die an den Hochschulen ausgebildeten Pädagogen soll die „Genderkompetenz“ in die Gesellschaft hinein wirken, „denn gerade Lehrberufe transportieren über Sprache und Didaktik unbewusste Rollenbilder und Rollenfestschreibungen“2. Als Konsens vorausgesetzt wird dabei, dass solche unbewussten Rollenbilder per se negativ seien und aufgebrochen werden müssten. Bezeichnenderweise wird in diesem Zusammenhang auch nie die Frage thematisiert, welche Funktion Rollenbilder haben und inwieweit sie als Instrumente der Selbst- und Welterschließung fungieren. Tatsächlich operieren gerade die Vertreter der Genderforschung ständig mit Rollenbildern, die es ihnen überhaupt erst ermöglichen, von Gender sprechen zu können. Aber auch innerhalb der Hochschule als Organisation werden „Gendersensibilität“ und „Genderkompetenz“ eingefordert. Die Vorstellung von der Hochschule als grundlegend „gegenderter Organisation“ bedeutet nichts anderes, als dass „in allen Bereichen im Sinne von Gender Mainstreaming gedacht und gehandelt werden“ soll3.

Gender Mainstreaming, ein Begriff, in dessen Bedeutungsspektrum sich die geschlechtliche Gleichstellung mit der Vorstellung der Etablierung einer neuen geschlechtlichen – übrigens teilweise auch im Sinne einer sexualgeschlechtlichen – Ordnung verbindet, verfolgt einen geradezu allumfassenden gesellschaftlichen Anspruch. Aus der Erweiterung des deutschen Begriffes „Geschlecht“ zum sozial konstruierten „Gender“ schlagen die Apologeten des Gender Mainstreaming ein beträchtliches Kapital, indem sie den biologischen Geschlechtsunterschied zum gesamtgesellschaftlichen Schlüsselkriterium erhoben haben.

Im deutschen Wissenschaftsbetrieb hat sich Gender Mainstreaming zur Alles beherrschenden Ideologie ausgewachsen: Keine Stelle wird besetzt, kein Forschungsantrag gestellt, kein Rechenschaftsbericht erstellt, ohne dass die Kriterien des Gender Mainstreamings daran angelegt würden. Dies hat zu einem Anpassungsprozess geführt, bei dem die betroffenen Wissenschaftler den Anforderungsprofilen entweder aus Überzeugung oder aus Pragmatismus Rechnung tragen. Inhaltlich und methodisch wird dabei Forschung zumeist nur simuliert. Problematisch unter wissenschaftsethischen Grundsätzen ist, dass es sich um eine Theorie handelt, die in hohem Maße an die individuellen Selbsterfahrungen ihrer Vertreter gekoppelt ist. Dabei wird jeder Position, die aus einer abweichenden Perspektive argumentiert, die Geltung abgesprochen. Gender Mainstreaming ist so zu einem Dogma geworden4.

Das ideologische Konzept des Gender Mainstreaming einschließlich der zu seiner Umsetzung postulierten Maßnahmen wurde mittlerweile sowohl in die Förderpläne der Hochschulen als auch in die Rahmenrichtlinien der Forschungsorganisationen aufgenommen und in verbindlicher Form festgelegt. Hier hat eine Entwicklung stattgefunden, wie sie politisch motiviert auch in den übrigen Bereichen der bundesdeutschen Gesellschaft forciert wird. Ebenfalls weit vorangeschritten ist der Prozess der Umgestaltung auf der Ebene der Ministerialbürokratien in Bund und Ländern sowie in den Verwaltungen der deutschen Großstädte5. Im Bereich der Wirtschaft erleben wir gerade die mit großem Druck aus der Politik vorangetriebene Etablierung des Gender Mainstreaming, wobei im Prinzip nur noch um Zeitrahmen und Vorgehensweisen gerungen wird. Es ist daher auch gesamtgesellschaftlich von Interesse, das auf allen Ebenen institutionalisierte System des Gender Mainstreamings im deutschen „Wissenschaftsbetrieb“ zu analysieren.

Ausschlaggebend für die erfolgreiche Etablierung des Gender Mainstreaming im akademischen Bereich ist eine Allianz aus entsprechend ideologisch geprägten Universitätsangehörigen (Wissenschaftler und Bürokraten mit starkem Engagement in der Hochschulverwaltung, viele von ihnen mit einer Prägung durch die feministische Ideologie der 70er bis 90er Jahre) mit Politikern aller Couleur, die mit dem Thema Geschlechtergleichheit Lobby- und Machtpolitik betreiben. Dazu gehören einflussreiche Funktionsträger in der aktuellen Bundesregierung ebenso wie in den Landesregierungen. Bei den politischen Vorreitern des Gender Mainstreaming handelt es sich keineswegs ausschließlich um Frauen und Vertreter homosexueller Lobbygruppen, auch wenn diese in allen politischen Parteien mittlerweile einen weit über ihrem prozentualen Anteil an Mitgliedern liegenden Anteil an Amtsträgern stellen und das Thema „Geschlechter- und Frauenpolitik“ weitgehend dominieren6. Eine Ablehnung des Gender Mainstreaming als Konzept wird gleichgesetzt mit einem Verprellen der Frauen als Wählergruppe und gilt als politischer Selbstmord. Aufbauend auf die Strukturen der Familien- und Frauenpolitik hat sich mit Gender Mainstreaming ein parteiübergreifendes ideologisches Konzept etabliert, mit dem Politiker, Funktionäre und Bürokraten in aktiver und hierarchischer Form alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens reformieren wollen. Entsprechend werden im Hochschul- und Forschungssektor vom Bund und den Ländern dreistellige Millionensummen in Förderprogramme gesteckt, die Frauen zu akademischen Führungspositionen verhelfen sollen. Dabei wird die Berufung von Frauen auf Professuren durch ein Prämiensystem honoriert, d. h. die Hochschulen erhalten direkte finanzielle Vorteile, wenn sie bei Berufungen Frauen bevorzugen. Hinzu kommen auf Landesebene weitere Frauenförderprogramme sowie die gezielte Etablierung sogenannter Frauennetzwerke oder Mentoring- bzw. Coaching-Programme für Frauen, in deren Rahmen bereits profilierte Wissenschaftler (zumeist, aber nicht ausschließlich weiblichen Geschlechts) die Berufung von Frauen unterstützen sollen. Man konstatiert mit Erstaunen, dass postulierte Männernetzwerke als Instrumente patriarchalischer Strukturen ausgemacht und kritisiert werden, während gleichzeitig Frauennetzwerke als institutionalisierte Strukturen staatlich gefördert werden. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass Gender-Mainstreaming in Wissenschaft und Verwaltung keineswegs Geschlechtergerechtigkeit im Sinne seiner Begrifflichkeit anstrebt, sondern realiter stets als Instrument zur Einflusssteigerung und Alimentierung von Frauen (und in Einzelfällen von Homosexuellen) eingesetzt wird. Dies wird in den Fällen augenfällig, wenn es um Geschlechtergerechtigkeit in schlecht bezahlten oder riskanten Tätigkeitsfeldern geht oder in bestimmten Bereichen ein proportionales Übergewicht auf Seiten der Frauen herrscht.

Ein wirkungsvolles Mittel der Einflussnahme der politischen Mandatsträger auf die Gender Mainstreaming-Politik in der Wissenschaft sind die großen von Bund und Ländern getragenen Wissenschaftsorganisationen: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die Max-Planck-Gesellschaft (MPG), die Hermann von Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren (HGF), die Fraunhofer-Gesellschaft (FhG) und die Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz (WGL). Als Vermittler wirken dabei die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und der Wissenschaftsrat (WR). In einer gemeinsamen „Offensive für Chancengleichheit“ haben die genannten sieben Organisationen 2006 einen Fünfjahresplan beschlossen mit dem Ziel, „den Anteil von Frauen an Spitzenpositionen in der Wissenschaft deutlich anzuheben“7. Die anstehende Evaluierung dieser Maßnahmen darf man mit Spannung erwarten.

Die großen Wissenschaftsorganisationen sollen den Prozess des Gender Mainstreamings unterstützen und beschleunigen, indem die Vergabe von Fördermitteln an die Einhaltung von Gleichstellungsstandards geknüpft wird. So hat die DFG auf ihrer Mitgliederversammlung am 2. Juli 2008 einen Fünfjahresplan verabschiedet, der unter dem Titel „Forschungsorientierte Gleichstellungsstandards“ am 8. August 2008 veröffentlicht wurde8. Das Strategiepapier der DFG geht davon aus, dass „Gleichstellung sich auf die Qualität der Forschung auswirkt, da Talente aus einer größeren Grundgesamtheit geschöpft werden können, eine Vielzahl von Forschungsperspektiven gefördert wird (Diversity) und die blinden Flecken zur Bedeutung von Gender in den Forschungsinhalten und -methoden beseitigt werden können.“ Zu dieser auch von den Medien gebetsmühlenartig wiederholten These muss die Frage erlaubt sein, ob nicht umgekehrt durch eine starre Festlegung bestimmter Anteilsquoten gerade nicht aus dem größtmöglichen Talentpool geschöpft wird.

Im Strategiepapier der DFG werden vier „strukturelle Gleichstellungsstandards aufgeführt: Dies ist zum ersten die durchgängige Anwendung der Gleichstellungsmaßnahmen in allen Bereichen und Ebenen der wissenschaftlichen Einrichtungen. Kontrolliert werden soll dies zum zweiten durch die regelmäßige Erhebung von Daten zum Zustand der Gleichstellung. Schließlich soll drittens „wettbewerbsfähig und zukunftsorientiert Gleichstellung“ gesichert werden, indem für die Vereinbarkeit von Familie und Karriere gesorgt, „veralteten Rollenstereotypen“ entgegengewirkt wird und „individuelle Lebensentwurfsgestaltungen“ berücksichtigt werden. Der letzte Punkt behandelt die kompetente Sicherung von Gleichstellung. Hier heißt es in bester Genderdiktion: „Forschungsorientierter Gleichstellungsstandard ist die nachprüfbare Absicherung der Kompetenz zur vorurteilsfreien Begutachtung von Personen, wissenschaftlichen Leistungen und Forschungsvorhaben sowohl im Hinblick auf die beteiligten Personen wie auch im Hinblick auf eventuelle geschlechts- und diversitätsbezogene Aspekte in der Forschung.“

Es folgen „personelle Gleichstellungsstandards“, die wiederum als ersten Punkt die durchgängige Berücksichtigung der Gleichstellung auf allen Ebenen der Personalentscheidung betonen. Als Indikator für die Erreichung der Gleichstellungsstandards wird zweitens „die Anzahl von Männern und Frauen auf unterschiedlichen Stufen der wissenschaftlichen Karriere“ benannt, wobei sechs Stufen festgelegt werden, die von der Immatrikulation bis zur Leitungsposition auf höchster Ebene reichen. Mit Punkt drei folgt ein wichtiger Aspekt, indem hier festgelegt wird: „falls das Verhältnis von Männern und Frauen auf einer Karrierestufe signifikant von dem der jeweils darunter liegenden Stufe abweicht, werden die Mitgliedseinrichtungen der DFG festlegen und publizieren, um welchen Anteil dieser Abstand innerhalb von fünf Jahren verringert werden soll.“ Es handelt sich dabei um das sogenannte Kaskadenmodell, das hier Anwendung finden soll. Im folgenden Punkt wird wiederum in wenig konkreten Formulierungen über wettbewerbsfähige und zukunftsorientierte Gleichstellung räsoniert und abschließend nochmals betont, dass die Beteiligung von Frauen an Förderverfahren gesteigert werden soll, soweit eine Unterrepräsentanz festgestellt wird.

Hinsichtlich der Umsetzung des Konzeptes „Forschungsorientierte Gleichstellungsstandards“ wird bereits eingangs festgehalten, dass „die DFG selbst mit Hilfe von Anreizen und im Wege eines differenzierten Reaktionssystems dafür Sorge tragen wird, dass diese Standards eingehalten werden.“ Zu den im Einzelnen aufgeführten Maßnahmen dieser Umsetzung gehört die Einrichtung einer Arbeitsgruppe „Forschungsorientierte Gleichstellungsstandards“ mit beratendem Charakter. Die Mitgliedseinrichtungen der DFG sollen Selbstverpflichtungen zur Steigerung der Repräsentanz von Frauen abgeben sowie Zwischen- und Abschlussberichte vorlegen (im Rahmen des Fünfjahresplanes). Von entscheidender Bedeutung ist schließlich der Schluss des Strategiepapiers, in dem es heißt: „Die Einhaltung der Forschungsorientierten Gleichstellungsstandards ist außerdem eines der entscheidungsrelevanten Kriterien bei der Bewilligung von Forschungsverbünden, bei denen Mitgliedseinrichtungen Antragsteller sind.“ Dies bedeutet, dass auf alle antragstellenden Institutionen und Personen Druck ausgeübt wird, sich den von der DFG formulierten Gleichstellungsstandards anzupassen.

Auf der Ebene der Hochschulen legen Frauenförderpläne die Ausrichtung und Durchführung des Gender Mainstreaming fest. Seit dem Einsetzen solcher Frauenförderpläne in den 90er Jahren hat sich mittlerweile praktisch flächendeckend eine Art Standardtypus durchgesetzt, wobei die Übereinstimmungen zum Teil bis hin zur Übernahme ganzer Absätze reichen. Beispielhaft seien einige Passagen aus dem detaillierten Frauenförderplan der Johann Wolfgang Goethe-Universität 2008-2014 zitiert: In der Präambel wird wie in allen vergleichbaren Plänen die Steigerung der Qualität von Forschung und Lehre mit der Förderung der Chancengleichheit verbunden und aus den Strukturveränderungen an den Hochschulen die Notwendigkeit „einer forcierten Realisierung des Gleichstellungsauftrages“ abgeleitet9. Stärker als bisher sollen dabei die Maßnahmen der Frauenförderung „mit der Gleichstellung als Querschnittsaufgabe im Sinne des Gender Mainstreaming“ verbunden werden. „Querschnittsaufgabe“ ist dabei eine elegantere Umschreibung der Vorstellung der „vollständig gegenderten Universität“ oder des Leitprinzips des Gender Mainstreaming. Es wird betont, dass „insbesondere in der Einführungsphase Gender Mainstreaming ein Top-Down-Prozess ist: Gleichstellung ist eine Führungsaufgabe“10. Das bedeutet nichts anderes, als dass die Veränderungen von oben nach unten diktiert werden müssen. Dazu ist ein „regelmäßiges Controlling“ notwendig, weshalb „die Fachbereiche und Einrichtungen alle zwei Jahre Bericht erstatten über den Stand der Erfüllung der Zielvorgaben und Ziele sowie der Umsetzung der im Frauenförderplan festgehaltenen Maßnahmen“. Man fühlt sich durch die Wortwahl erinnert an Planmaßnahmen und Zielvorgaben aus einem anderen ideologischen System auf deutschem Boden. Es folgen Vorgaben zur Erstellung weiterer dezentraler Frauenförderpläne auf den unterschiedlichen Ebenen der Universität sowie Festlegungen der Aufgaben und Befugnisse der Frauenbeauftragten und Frauenrätinnen. Interessant sind die Maßnahmen im Zusammenhang mit Stellenausschreibungen und Auswahlverfahren. Hier wird etwa festgelegt, dass „in Bereichen, in denen Frauen unterrepräsentiert sind, mindestens ebenso viele Frauen wie Männer oder alle Bewerberinnen zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden müssen.“ „Liegen nach der ersten Ausschreibung keine Bewerbungen von Frauen vor, die die gesetzlichen und die in der Ausschreibung definierten Voraussetzungen für die Besetzung der Stelle erfüllen, ist auf Verlangen der Frauenbeauftragten der Universität im Benehmen mit der Frauenbeauftragten/dem Frauenrat des Fachbereichs, bzw. der zentralen Einrichtung die Ausschreibung einmal zu wiederholen.“ Schriftlich ist zu begründen, „welche Maßnahmen ergriffen wurden, um geeignete Bewerberinnen für die entsprechende Stelle zu finden“. Es wird festgelegt, dass in Bereichen, in denen Frauen unterrepräsentiert sind, „bei gleichwertiger Qualifikation Frauen bei der Besetzung höherwertiger Stellen solange bevorzugt werden, bis die Unterrepräsentation beendet ist“11.

Im Frauenförderplan existiert auch eine knapp gehaltene Passage zum Thema familiengerechte Hochschule; hier finden sich nun ausnahmsweise konkrete und konstruktive Vorschläge zur Verbesserung der Infrastruktur an der Hochschule wie die Einrichtung und der Ausbau von Kindertagesstätten und Kinderbetreuungsangebote12. Dies sind tatsächlich sinnvolle Maßnahmen, die Frauen und Männern mit Kindern das Forschen, Lehren und Arbeiten an der Universität erleichtern. Die Vereinnahmung der Familienpolitik durch das System des Gender Mainstreaming steht dabei ganz in der Tradition der Frauenpolitik, die schon lange wie selbstverständlich die Belange der Familien, Kinder und Senioren für sich usurpiert hat. Kurios wird es wiederum im Abschnitt zur Sprache, wo es heißt: „Alle Mitglieder der Universität werden aufgefordert, ihren eigenen Sprachgebrauch und den ihrer Unterrichtsmaterialien auf Geschlechtergerechtigkeit hin zu überprüfen“13.

In dem umfangreichen Abschnitt „Bestandsanalyse und Zielvorgaben“ wird die Geschlechterverteilung nach Fachbereichen und Karrierestufen aufgeschlüsselt14. Hier führt sich das System gleich selbst ad absurdum, indem konstatiert wird, dass der Frauenanteil bei den sogenannten Studierenden (früher sprachlich korrekt: Studenten) der Goethe-Universität Frankfurt insgesamt über 50% Prozent liegt, eine Unterrepräsentanz von Frauen also nicht mehr gegeben sei. Dennoch wird ausführlich erläutert, warum weiterhin Frauen mit gezielten Maßnahmen zum Studium motiviert werden sollen. Den abschließenden Satz zur Bestandsanalyse bei den „Studierenden“ darf man sich auf der Zunge zergehen lassen: „Eine Debatte über Maßnahmen für den Abbau starker Überrepräsentanz von Frauen im Studium ist in der Zukunft noch zu führen“15. Es lebe die Planwirtschaft!

Als Exekutive des Gender Mainstreaming fungiert das engmaschige Netz der Frauenbeauftragten (gelegentlich auch Gleichstellungsbeauftragte oder Gleichstellungsbeauftragte für Frauen genannt). Die Hochschulfrauenbeauftragte ist in der Regel mit einer eigenen Abteilung aus Wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Sekretariat direkt im Präsidium der Hochschulen angesiedelt. Es folgen Frauenbeauftragte auf der Ebene der Fachbereiche bzw. Fakultäten; hinzu kommen Frauenbeauftragte auf Institutsebene sowie studentische Frauenbeauftragte. Gemäß dem Konzept des Gender Mainstreaming, wonach dessen Methoden und Ziele mit allen politisch-administrativen Maßnahmen auf allen Ebenen durch alle an Entscheidungsprozessen beteiligten Personen vertreten werden sollen (Stichwort: Hochschule als grundlegend „gegenderte“ Organisation), wird versucht, Einfluss auf alle in den Gremien der Hochschulen vertretene Personen zu nehmen. Solche Einflussnahmen beziehen sich etwa auf das Abstimmungsverhalten, aber auch auf die Ausrichtung von Forschungsvorhaben bis hin zur Sprachwahl (über die kuriosen Auswüchse der politisch korrekt gegenderten Begriffswahl in den offiziellen Reden und Verlautbarungen der deutschen Hochschulvertreter ließe sich mühelos eine wöchentliche Kolumne mit hohem Unterhaltungswert verfassen). Ein Schlüssel für die Einflussnahme der Frauenbeauftragten ist natürlich die Besetzung von Stellen an den Hochschulen, um dem Gender Mainstreaming zum Erfolg zu verhelfen und nachhaltig auf zukünftige Entwicklungen Einfluss zu nehmen. Entsprechend müssen die Frauenbeauftragten in alle mit Stellenbesetzungen verbundenen Prozesse einbezogen werden. Durch die in den Förderplänen festgeschriebene Ausrichtung und die Einflussmöglichkeiten der Frauenbeauftragten im Hochschulbetrieb wird von allen Mitgliedern der Hochschulen ein Bekenntnis zum Gender Mainstreaming verlangt, das von diesen auch weitgehend geleistet wird, sofern sie als Verantwortliche im Fokus der akademischen Öffentlichkeit stehen. Hinter vorgehaltener Hand dagegen machen viele Wissenschaftler, Frauen wie Männer, keinen Hehl daraus, dass sie die Ideologie des Gender Mainstreaming für ausgemachten Blödsinn halten. Tatsächlich lassen sich ja auf vielen Ebenen des Hochschulbetriebes Formen zumindest des passiven Widerstandes beobachten, weshalb die Umsetzung des Gender Mainstreaming stark auf Anweisungen von oben angewiesen ist („Top-Down-Prozess“).

Vor diesem Hintergrund kann man sich fragen, wer eigentlich vom System des Gender Mainstreaming an den deutschen Hochschulen profitiert? Das sind zum einen natürlich die zahlreichen Frauenbeauftragten und ihre Mitarbeiterinnen. Soweit diese hauptamtlich tätig sind, baut ihre berufliche Existenz darauf auf. Hauptberufliche Frauenbeauftragte sind in der Regel nicht oder nicht mehr wissenschaftlich tätig. Sie sind gleichsam Funktionärinnen und Lobbyistinnen der Frauenpolitik, festangestellte Ideologinnen, die ihre berufliche Selbstbestätigung ausschließlich über Erfolge des von ihnen vertretenen Konzepts erfahren können. Auf der Ebene der nicht hauptberuflichen Frauenbeauftragten liegt der Vorteil in dem mit der Position verbundenen zum Teil erheblichen Machtzuwachs im universitären Gefüge. Wie bereits ausgeführt sind zahlreiche Entscheidungen an die Zustimmung der jeweils zuständigen Frauenbeauftragten gebunden. Es profitieren aber auch diejenigen Frauen, die durch Quotierungen begünstigt werden. Gleichzeitig möchte sich keine Frau nachsagen lassen, sie habe ihre Stelle durch Quotenvorgabe erhalten, und sich dementsprechend als Quotenfrau feiern lassen. Und hier liegt auch der perfideste Aspekt der mit dem Gender Mainstreaming verbundenen Quotierung: Frauen, die in Zeiten festgelegter Quoten eine Stelle erhalten, müssen befürchten, in den Generalverdacht zu geraten, ihre Position dem System des Gender Mainstreaming zu verdanken.

Schließlich muss man sich fragen, warum kaum offene Kritik am System und der Ideologie des Gender Mainstreaming im deutschen Hochschulwesen laut wird? Immerhin handelt es sich bei einem beträchtlichen Teil der Betroffenen ja um Wissenschaftler, die die Freiheit der Forschung und Lehre zumindest gerne im Munde führen, auch wenn die zunehmende Bürokratisierung der Hochschulen den Raum für Freiheiten immer mehr beschneidet. Tatsächlich ist das Thema Gender Mainstreaming an den deutschen Hochschulen zu Beginn des 21. Jahrhunderts mit einem regelrechten Tabu belegt16. Indem eine Verquickung von Forschung und ideologischer Machtpolitik stattgefunden hat, konnte sich ein Netzwerk institutionalisierter Genderforscher etablieren, das in einem gleichsam geschlossenen Kreislauf der immer gleichen Institutionen und Personen durch die Vergabe von Stellen, Forschungsmitteln, Stipendien und Gutachten den Gang der Entwicklung bestimmt. Seinen sichtbaren Ausdruck findet das auch in den stereotypen Formulierungen und Thesen im Bereich Gender Mainstreaming. Freiheit und Unabhängigkeit der Forschung ist in diesem Konstrukt schon deswegen unmöglich, weil die Repräsentanten der Genderforschung in direkter Weise von der Gleichstellungspolitik profitieren. Die fragwürdige Verknüpfung persönlicher Interessen mit der Forschungsausrichtung wird auch deutlich bei einem Sonderbereich der Genderforschung, den sogenannten Queerstudies, die sich mit den von der heterosexuellen Norm abweichenden sexuellen Identitäten befassen – und deren Vertreter durchgehend bekennende Anhänger dieser sexuellen Identitäten sind. Durch das Zusammenspiel der beteiligten Institutionen aus den Bereichen Hochschule, Forschungsinstitute, Stiftungen und Politik erstreckt sich der Einfluss des Gender Mainstreaming Kartells mittlerweile auf alle Bereiche der Hochschul- und Forschungspolitik. Der daraus resultierende scheinbare Konsens führt dazu, dass kritische Fragestellungen oder Stellungnahmen zum Thema Gender Mainstreaming in der deutschen Scientific Community bisher praktisch ausbleiben17.

Gender Mainstreaming muss als Teil einer intellektuellen Gesamtentwicklung gesehen werden, die gesellschaftliche Gruppen in Opfer und Täter einteilt und daraus ein totales Gleichstellungsgebot ableitet. Mit dem kollektiven Opferstatus verbunden ist die gleichsam einklagbare Entschädigung des Einzelnen für die vorgebliche oder tatsächliche historische Benachteiligung der Gruppe. Der Opferstatus entlastet gleichzeitig von Verantwortung. Im Bereich des Gender Mainstreaming treffen der kultivierte Opferstatus der feministischen Frauen auf die Bereitschaft der männlichen Intellektuellen, die vorgebliche historische Schuld auf ihre Schultern zu laden und so Buße zu tun für die Väter und Vorväter. Hier kann man nur auf eine neue Generation hoffen, die sich dieser selbstgefälligen intellektuellen Eitelkeit entzieht, indem sie die dahinter stehenden Vorstellungen vom männlichen Täter und dem weiblichen Opfer als die wahren Rollenklischees enttarnt.

1 So etwa Margit Weber, die Frauenbeauftragte der Ludwig-Maximilians-Universität München, in ihrem „Editorial“ zum Vorlesungsverzeichnis „Frauenstudien. Gender Studies“ Sommersemester 2010. Ein bezeichnendes Bild auf das hier vertretene Wissenschaftsverständnis, das Wissenschaft nicht als freie Forschung, sondern als Verwaltungsorganisation begreift, wirft die ebenda zu findende Aussage, die „Wissenschaft (sei) eine grundlegend ‚gegenderte‘ Organisation, v. a. wenn niemand von Gender spricht.“

2 Alle Zitate ebenda S. 1 – 3.

3 Ebenda S. 1.

4 Zur – zumindest öffentlich – weitgehend kritiklosen Akzeptanz dieser Entwicklung und zur herrschenden Stimmung im deutschen Wissenschaftsbetrieb vgl. den hier abgedruckten Bericht von F. Jentzsch, Gleichstellungs-Controlling, erstmals in: Gegengift. Zeitschrift für Politik und Kultur 15.3.2009, S. 19 – 22.

5 Vgl. M. Bock, Gender-Mainstreaming als totalitäre Steigerung von Frauenpolitik, www.kellmann-stiftung.de

6 Ebenda.

7 Mitteilung des Wissenschaftsrates 36/06 vom 29.11.2006, vgl. www.wissenschaftsrat.de

8 s. www.dfg.de/chancengleichheit

9 Frauenförderplan der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt/M. 2008-2014. Maßnahmen zur Gleichstellung von Frauen und Männern, S. 4.

10 Ebenda S. 7.

11 Alle Zitate ebenda S. 10.

12 Ebenda S. 14 f. (insgesamt ganze zehn Textzeilen!).

13 Ebenda S. 16.

14 Ebenda S. 17 – 30.

15 Ebenda S. 17.

16 Ähnliche Tabuisierungen hat jüngst Necla Kelek in überschaubarerem Rahmen für den Bereich der Migrationsforschung analysiert, s. N. Kelek, Professor Bade gibt den Anti-Sarrazin, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9.5.2011, S. 25.

17 Neben den auf dieser Internetseite versammelten kritischen Stellungnahmen sei als Ausnahme noch auf den renommierten Kriminalisten und Soziologen Michael Bock verwiesen, insbesondere auf seinen Beitrag „Gender-Mainstreaming als totalitäre Steigerung von Frauenpolitik“ s. www.kellmann-stiftung.de.

Aufsätze:

Rezensionen: